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Freitag, 3. September 2010

"Jagd in Steppe, Wald und Eis"


Hin und wieder passieren schöne Zufälle. So hat am Montag - zeitgleich mit meinem Beitrag über die herrschaftliche Jagd in der Sowjetunion - das JagdWaffenNetz die Rezension eines Buches von Christoph Stubbe über die Jagd in Sibirien publiziert. Und wie der Zufall es will, liegt derzeit eine Anthologie von Jagdgeschichten sowjetischer Schriftsteller auf meinem Schreibtisch. "Jagd in Steppe, Wald und Eis" wurde von Helmut Sträubig zusammengestellt und ist 1969 in zweiter Auflage in Leipzig erschienen.

Der Band ist eine Mischung aus Fachbuch und Belletristik. Die letztere Komponente wird durch den aus Jagdgeschichten bestehenden Hauptteil dargestellt. Dafür hat der Herausgeber über zwei Dutzend Erzählungen sowjetischer Autoren zusammengestellt, die um die Themen Jagd und Wild kreisen. Ausdrücklich wurden vor allem weniger bekannte Schriftsteller ausgewählt, um sie dem deutschen Publikum näherzubringen. Der Herausgeber weist jedoch darauf hin, daß es im russischen Sprachraum eine lange jagdliterarische Tradition gibt, die bis ins 19. Jahrhundert zurückreicht - wie etwa Turgenjews "Aufzeichnungen eines Jägers". Es dürfte nur wenige Länder geben, in denen die Jagd einen derart großen Einfluß auf das Volksleben im allgemeinen und die Kunst im besonderen hatte.

Die Geschichten in Sträubigs Band sind in der Regel sehr gut zu lesen und vermitteln einen Eindruck von den jagdlichen Verhältnissen in der UdSSR. Die eher fachliche Komponente des Buches stellt neben dem Anhang, der u.a. Karten über die Verbreitung einzelner Wildarten enthält, sowie den zahlreichen Farbfotos die vom Herausgeber verfaßte Einleitung dar, die z.T. sehr interesante Informationen enthält. An dieser Stelle schließen sich auch einige vom JagdWaffenNetz aufgeworfene Fragen an.

Sträubig weist zum einen auf die vielen unterschiedlichen Klimazonen hin, in den sich das Gebiet der SU erstreckt hat. Daraus folgte ein großer Artenreichtum. Die Bestände mancher Arten, die zuvor vom Aussterben bedroht waren, konnten durch Schutzmaßnahmen wieder auf ein hohes Niveau gebracht werden. Des weiteren werden - natürlich geschätzte - Zahlen für die 1960er Jahre genannt: 2,5 bis 3 Mio. Saigas, 800.000 bis 900.000 Wildschweine, 700.000 Elche, 500.000 Rehe etc. (vgl. S. 16).

Die Jagd hat hier seit Jahrhunderten immer auch wirtschaftlichen Zwecken gedient, sei es zur Beschaffung von Nahrung oder zum Gewinnen der Felle. Das ist vermutlich einer der größten Unterschiede im Vergleich mit Deutschland, auch wenn z.B. die Bejagung von Pelztieren seit deren Zucht auf Farmen rückläufig ist. Doch es gab in der SU nicht nur Berufsjäger. Die Jagd als Freizeitbetätigung hat sich großer Beliebtheit erfreut. Im Jahr 1965 hatten die Jagdvereinigungen, der allerdings nicht alle Jäger angehörten, über zwei Millionen Mitglieder. Zum Vergleich: Damals hatte die Sowjetunion knapp 230 Mio. Einwohner. Voraussetzung für die Jagdausübung war - wie auch hierzulande - das Absolvieren einer Ausbildung, die mit der Jagdscheinprüfung abschloß.

Kommen wir zum Thema Waffenbesitz, das von Sträubig (leider) nicht thematisiert wird. Es ist ja bekannt, daß die Jagdwaffenvergabe in der DDR extrem restriktiv erfolgte und ein privater Waffenbesitz für den Durchschnittsbürger de facto unmöglich war. Das war jedoch nicht in allen sozialistischen Staaten der Fall. Meinem Kenntnisstand zufolge war es in der UdSSR für einen Jäger durchaus möglich, eigene Waffen zu erwerben. Die Crux bestand allerdings darin, daß man zunächst fünf Jahre lang glattläufige Waffen ohne Beanstandung besessen haben mußte, bevor man auch solche mit gezogenem Lauf erwerben durfte. Folglich wurden zumeist Flinten zur Jagd eingesetzt, was jedoch bisweilen eine höchst suboptimale Wahl war, selbst mit Slugs.

Demgegenüber war die öffentliche Akzeptanz für Waffenbesitz und -tragen recht groß. So beschreibt einer der Autoren - A. Schachow (vgl. S. 52 ff.) - wie Moskauer Jäger vor den Toren ihrer Stadt auf die Pirsch gehen - Fahrten mit Bus und Straßenbahn inklusive. Dabei befanden sich die Flinten wohlgemerkt nicht in einem verschlossenen Behältnis, sondern wurden am Riemen über der Schulter getragen. Dieser Anblick hat weder Miliz noch KGB auf den Plan gerufen, sondern war akzeptierte Normalität, wenn man von ein paar witzigen Kommentaren anderer Passanten absieht.

Nun zu einem weiteren Kritikpunkt des Rezensenten vom JagdWaffenNetz:
"[...]

Wie reizvoll muss heute deshalb mit moderner Waffe und Ausrüstung eine Jagdreise nach Sibirien sein [...]? Man muss dazu nicht, wie der Verfasser anzunehmen scheint, in übel riechenden Hütten auf dem Boden schlafen. Das hat nichts mit Jagd zu tun, sondern mit den Rahmenbedingungen eines harten Lebens in Armut und unter dem Kommunismus.

[...]"
Hinsichtlich der Reize einer sibirischen Jagd will ich nicht widersprechen. ;-) Doch bezüglich der Lebensumstände möchte ich es einmal so formulieren: Jagd und Angeln (letzteres ist Volkssport!) haben in Rußland und der früheren SU nach meiner Beobachtung häufig etwas mit der Sehnsucht nach einem einfachen, ursprünglichen Leben in freier Natur zu tun. Das spiegelt sich auch in der Jagdliteratur wider. Selbst Jäger, die gut betucht sind, lieben es, sich in Tarnanzug und Stiefel zu kleiden, durch die Wälder zu streifen und ihre Nahrung am offenen Feuer zuzubereiten. Und die Jagdhütte ist dementsprechend rustikal gehalten. Es ist natürlich nicht immer so, aber doch ziemlich oft. Insofern ist dies weniger eine Frage des Budgets, sondern eher eine der Kultur und des Lebensstils.

Hinzu kommt noch ein zweiter Aspekt, der gewiß zum Schmunzeln anregt, nämlich der Naturschutz. Es gab, schon vor Aufkommen der Grünen, in der SU agile Umweltschützer, die schon vor Jahrzehnten für die Einrichtung von Schutzgebieten gesorgt haben. Darin fand selbst die Forstwirtschaft teilweise nur mit Pferdefuhrwerken statt, obwohl im Land sicher keinen Mangel an Traktoren herrschte.
Anders war die Lage vermutlich hinsichtlich der selbstgefertigten Flintenlaufgeschosse. Wenn ein russischer Jäger dergleichen heute noch tun sollte, dann nicht, weil es keine fertigen Produkte zu kaufen gäbe. Das Angebot auf den Jagd- und Waffenmessen ist in Rußland fast ebenso groß wie hierzulande.

Es gäbe noch viel über die Jagd in Rußland und den anderen Nachfolgestaaten der Sowjetunion zu schreiben. Die Lektüre der hier genannten Bücher kann für das Verstehen der dortigen Situation mit Sicherheit hilfreich sein.


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