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Mittwoch, 1. Juli 2009

Hetzjagd auf WK-II-Reenactors

Eine Provinzposse sondergleichen spielt sich gerade in Sachsen-Anhalt ab. Sie führt erstens vor Augen, wie verkrampft der Umgang mit der deutschen Militärgeschichte hierzulande immer noch ist. Ferner zeigt sich auch hier die "freie" Presse von ihrer häßlichsten Seite: Erst wird ein "Skandal" herbeigeredet und -geschrieben, über den man dann später "berichten" kann. Die ganze Angelegenheit offenbart, daß sich deutsche Journalisten in den Mainstreammedien ihre Arbeit kaum noch anders vorstellen können als in der Form von Kampagnenführung (gegen Raucher, gegen "Klimasünder", gegen den Papst, gegen die Legalwaffenbesitzer, gegen ein paar harmlose Uniformsammler usw.), wobei es am Ende ein Opfer geben muß: Entweder jemand tritt zurück, oder wird ausgeschlossen, oder wird von einem Gericht verurteilt oder, falls all das nicht hilft, muß eben ein Gesetz geändert werden. Sachorientierter, kritischer und distanzierter Qualitätsjournalismus bleibt dabei auf der Strecke.

Zum Hintergrund: Auf dem Sachsen-Anhalt-Tag 2009 in Thale hat der Förderverein für das Militärhistorische Museum Anhalt aus Dessau-Roßlau (über den ich hier schon einmal berichtet hatte) anläßlich des Kriegsendes 1945 ein paar seiner Mitglieder in zeitgenössischer Uniformierung auftreten lassen, wobei neben den amerikanischen und sowjetischen Streitkräften auch die deutsche Wehrmacht dargestellt worden ist. Ausschließlich an letzterem hat sich dann die Kritik entzündet, wobei sich ein gewisser Alexander Schierholz von der Mitteldeutschen Zeitung als Einpeitscher hervorgetan hat. Nachfolgend eine Dokumentation.

Die erste Meldung vom 17. Juni liest sich noch nüchtern und sachlich. Doch am 18. Juni geht es los:
"Am Tag nach der ersten Aufregung ist vor allem eine Frage offen: Wie konnte es passieren, dass beim Sachsen-Anhalt-Tag in Thale Mitglieder eines Militärtraditionsvereins aus Dessau-Roßlau in Uniformen der Wehrmacht und der Waffen-SS auftreten - und scheinbar niemand etwas davon mitbekommt?

"Spätestens vor Ort hätte auffallen müssen, dass da Leute in Nazi-Uniformen rumlaufen", kritisiert Wulf Gallert, Fraktionschef der Linken im Landtag. Wie es dazu kommen konnte, das müsse die Staatskanzlei als Veranstalter jetzt klären, fordert Gallert.

[...]"
Neben der Linkspartei springen jetzt auch andere Landespolitiker auf den Zug auf. Und das Potsdamer MGFA freut sich darüber, der ungeliebten Konkurrenz von Hobbyhistorikern und Reenactors eins auswischen zu können:
"[...]

Zu den Uniformen selbst sagte Regierungssprecherin Monika Zimmermann, sie sehe darin kein Problem. "Das ist ein historisches Bild gewesen." Innenminister Holger Hövelmann (SPD) nannte eine solche Traditionspflege dagegen geschmacklos: "Mit derartiger Scheinobjektivität ist die Aufklärung über die Schrecken von Krieg und Völkermord sicher nicht möglich." Die SPD-Fraktionsvorsitzende Katrin Budde kritisierte, es werde "ein falscher Anschein von Normalität erweckt".

Kritik an dem Vereins-Auftritt in Thale übte auch das Militärgeschichtliche Forschungsamt Potsdam. Bei der Waffen-SS habe es sich um eine "verbrecherische Organisation" gehandelt, sagte Professor Rolf-Dieter Müller. Deren Uniformen während eines Landesfestes zur Schau zur stellen, sei "bedenklich und überflüssig". Der Argumentation des Vereines, es handele sich dabei um die Darstellung des Kriegsendes in der Region, sah Müller kritisch. "Dann hätten die Angehörigen von Wehrmacht und SS nicht in Siegerposen herumlaufen dürfen." Wenn die Organisatoren bei den Akteuren unsicher gewesen wären, hätten sie diesen Teil nicht in den Festumzug integrieren sollen."
Am gleichen Tag wird von Schierholz dann auch offen der Vorwurf der (in Deutschland strafbewehrten!) Verharmlosung des Nationalsozialismus erhoben:
"[...]

Weltoffenes und tolerantes Sachsen-Anhalt? Aber ja! Sachsen-Anhalt ist so tolerant, dass dort sogar Militärfans in Uniformen von Wehrmacht und Waffen-SS über das Landesfest marschieren dürfen. So am vorigen Wochenende in Thale. Ach so, die SS-Runen waren abgeklebt. Na, dann ist ja alles in Ordnung!

Sachsen-Anhalt ist auch das Land, das gemessen an der Einwohnerzahl bundesweit den traurigen Spitzenplatz bei rechtsextremer Gewalt einnimmt. Überfälle, die nicht selten von Tätern begangen werden, deren Gesinnung auf der nationalsozialistischen Ideologie basiert. Täter, die Wehrmacht und SS verherrlichen.

Gibt es da einen Zusammenhang? Leider ja. Nur scheint der vielen Leuten bisher nicht aufgefallen zu sein. Sie fanden, das ist erschreckend, die Vorgänge von Thale zunächst offenbar ganz normal - die Veranstalter, die den Verein aus Dessau-Roßlau zugelassen haben. Der dortige Oberbürgermeister, der sich fragen lassen muss, ob er nicht weiß, was sein eigener Verein tut. Und viele Festbesucher.

Das heißt nun nicht, dass die Dessauer Armeefreunde Neonazis wären. Dafür gibt es keine Belege, man muss ihnen noch nicht einmal Lust an der Provokation unterstellen. Schlichte Gedankenlosigkeit ist schlimm genug. Auftritte wie der in Thale sind dumm und verharmlosend, erst recht in einem Land, das solche massiven Probleme mit Rechtsextremismus hat.

[...]

Rätselhaft bleibt derweil, welches Geschichtsbild da eigentlich vermittelt werden soll. Dabei sollte klar sein: Der Nationalsozialismus eignet sich nicht für Folklore. Es spricht nichts dagegen, Militärgeschichte darzustellen, dabei darf auch das Dritte Reich nicht ausgespart werden. Aber bitte im Museum, wo Vorgänge eingeordnet und historische Zusammenhänge hergestellt werden können. Ein Volksfest ist dafür der falsche Ort."
Es kommt, wie es kommen muß. Zwar hat der Auftritt des Vereins - wie jetzt bestätigt wurde (und was man auch vorher hätte wissen können) - keinen Straftatbestand erfüllt, aber Polizei und Staatsanwaltschaft beugen sich dem Druck von Medien und Politik und leiten erstmal Ermittlungen ein. Unterdessen gerät der Dessau-Roßlauer Oberbürgermeister Klemens Koschig immer stärker unter Druck. Man fordert, er solle aus dem Verein austreten. Koschig, der nicht nur Politiker ist, sondern sich auch als Regionalhistoriker einen Namen gemacht hat, weiß nicht recht, wie er reagieren soll. So distanziert er sich vorerst vom Verein und hofft auf personelle Konsequenzen.

Unterdessen hat die einseitige Berichterstattung die ersten Folgen in Form von Leserbriefen an die MZ gezeitigt. Dort heißt es etwa:
"[...]

Bei allem Respekt vor der Militärhistorie und vor dem Hobby anderer Leute - Soldaten des schlimmsten Regimes, das Deutschland je hervorbrachte, gehören nicht in dieser Form, unter voller Bewaffnung und in Siegerpose in einen Festumzug. Bei einigem Feingefühl hätte man die Wehrmachts- und SS-Soldaten entwaffnet durch die auf dem Bild dahinter befindlichen Amerikaner abführen lassen. So hätte der Verein seinen Fundus präsentieren können, ohne sich einem unrühmlichen Ruch auszusetzen.

[...]"
Und das ist noch einer der sachlicheren Kommentare.

Meine eigene Einschätzung der Causa: Der Förderverein ist klein und sehr engagiert bei der Darstellung der regionalen Militärgeschichte, wobei die NVA einen Schwerpunkt bildet. Soweit ich einzelne seiner Mitglieder kenne, kann man keineswegs von einer wie auch immer gearteten "Verharmlosung" der NS-Zeit sprechen. Im Gegenteil, in schriftlichen und mündlichen Äußerungen zeigt sich, daß viele dort m.E. ziemlich "linksdrehend" sind und an einem noch von der DDR-Historiographie geprägten Geschichtsbild und entsprechenden Begriffen festhalten. Es ist somit schlicht unverschämt, den Verein und seine Mitglieder in die Nähe von Neonazis zu rücken.

Vielsagend ist, daß nur die Darstellung deutscher Soldaten aus dem Zweiten Weltkrieg kritisiert wurde, nicht jedoch die amerikanischer und sowjetischer Truppen! Die bloße Präsentation deutscher Uniformen ist für viele Zeitgenossen offenbar unerträglich und verdammungswürdig, wenn nicht Guido Knopp & Co. ihren Senf dazugeben. Fast so, als könne man aus der komplexen deutschen Geschichte entfliehen, wenn man sie nur konsequent genug ignoriert.

Fraglich ist, welche längerfristigen Konsequenzen dieser "Skandal" haben wird. Es war in den letzten Jahren glücklicherweise möglich, daß sich die - auch hobbymäßige - Beschäftigung mit Militärgeschichte vom negativen Ruch der Verherrlichung einer bestimmten Ideologie befreien konnte. Auch in Deutschland konnten zunehmend Reenactments und Militärfahrzeugtreffen durchgeführt werden. Droht hier jetzt ein "roll back"? Wird diese Normalität wieder zurückweichen? Müssen deutsche Uniformgruppen künftig wieder ins Ausland - etwa nach Frankreich, England, Belgien, Polen, Rußland oder in die USA - ausweichen, wo man überhaupt kein Problem mit ihren Uniformen hat? Wohlgemerkt: Diese Staaten waren von 1939 bis 1945 unsere Gegner!


PS: Hierdurch wurde allerdings meine Entscheidung, keine deutsche Militaria zu sammeln, bestätigt. Viel zu stressig.


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