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Samstag, 6. Dezember 2008

Mit zweierlei Maß - Unser geliebter Dschihad

Die Angst vor Terroranschlägen islamistischer Provenienz wird nicht nur in den USA, sondern auch in Deutschland gern als (sicherheits-)politisches Argument genutzt. Dem aufmerksamen Beobachter fällt dabei allerdings auf, wie selektiv die öffentliche Wahrnehmung islamistischer Aktivitäten ist. Während einerseits der Bau einer Moschee in Köln als Indiz für den endgültigen Untergang Deutschlands gewertet wird, haben oftmals die gleichen Personen und Medien kein Problem damit, Anschläge islamistischer Terroristen als "Freiheitskampf" zu verbrämen und solche Gruppen offen oder verdeckt zu unterstützen, wenn sie sich gegen den "richtigen" Ziele richten. Man erinnert sich vielleicht noch daran, wie nach den Geiselnahmen in Moskau (2002) und Beslan (2003) die deutschen Medien vor allem die russischen Behörden, weniger die tschetschenischen Kämpfer kritisiert haben. (So werden die Geiselnehmer auch in den verlinkten Wikipedia-Artikeln nicht als Terroristen bezeichnet.)

Hier setzt der Terrorismusexperte Berndt Georg Thamm mit seinem 2008 erschienenen Buch "Der Dschihad in Asien - Die islamistische Gefahr in Russland und China" an (vgl. auch hier, hier und hier). Er versucht, den Blick zu weiten und die vordergründigen (und einfältigen) Interpretationen des Terrorismus im mittelasiatischen Raum durch eine gründliche Betrachtung zu ersetzen. Im ersten Kapitel geht es um das "islamistische Triumvirat" als Bedrohung für Zentralasien. Das zweite und dritte Kapitel behandeln sodann die Einzelfragen des islamistischen Terrorismus in Rußland und China.
Thamm verdeutlicht, wie sehr die tschetschenischen und uigurischen Kämpfer in weltweit operierende islamistische Netzwerke eingebunden sind. Es ist mithin nicht nur theoretisch unmöglich, zwischen "guten" und "bösen" Islamisten zu unterscheiden, sondern auch praktisch. (Wobei "gut" für Tschetschenen und Uiguren steht, "böse" für Al-Qaida & Co.) Sicherheit ist eben unteilbar. Und man kann an der Entwicklung Osama bin Ladens ablesen, wohin der Versuch führt, diese Kräfte einseitig zu instrumentalisieren.

Leider wird dies von maßgeblichen politischen Akteuren in der EU und den USA nicht verstanden: einerseits führt man einen "vierten Weltkrieg gegen den Terror", andererseits hofiert man Islamisten, von denen man glaubt, daß man sie politisch nutzen könne. So hat sich etwa in den drei Baltenrepubliken ein wahrer Kult um die Tschetschenen entwickelt und in Großbritannien genießen maßgebliche tschetschenische Führer politisches Asyl. Diese Staaten gehören, wohlgemerkt, zur "Koalition der Willigen" und sind sowohl im Irak als auch in Afghanistan engagiert.
In den Vereinigten Staaten gibt es ebenfalls Politiker, die glauben, mit Dschihadisten eine gegen Rußland gerichtete Koalition schmieden zu können. Der ehemalige Präsidentschaftskandidat John McCain ist das prominenteste Beispiel - und er ist nicht allein.
Die gleichen Neokonservativen (im Kern ohnehin nur schwarzlackierte Trotzkisten), die sonst zur Verteidigung einer - freilich diffus bleibenden - "jüdisch-christlichen Zivilisation" gegenüber dem militanten Islam aufrufen, damit einen Krieg ohne konkrete Ziele und "ohne Ende" (D. Cheney) meinen und jeden, der ihre Bedrohungswahrnehmung nicht bedingungslos teilt, als "Dhimmi" titulieren, haben keinerlei Hemmungen, Moslems beim Kampf gegen Christen zu unterstützen - sofern dieser in ihr Konzept paßt. (Ein weiteres Beispiel dafür ist übrigens der Kosovo.)

Dem Historiker und Terrorismusforscher Gordon Hahn kommt das Verdienst zu, auf diese unverantwortlichen Machenschaften in einem Aufsatz aufmerksam gemacht zu haben: "Look Who Is Talking". Darin sind keine neuen Erkenntnisse enthalten, aber endlich hat ein amerikanischer Wissenschaftler einmal ausgesprochen und belegt, was vorher oft leichtfertig als "russische Propaganda" oder "Antiamerikanismus" abgetan worden ist. (Ähnlich wie Thamm hat Hahn zu diesem Thema auch ein Buch geschrieben.)

Wie berechtigt und notwendig die Kritik am Mainstream ist, zeigt auch eine Rezension der FAZ. Während von diesem Blatt sonst bedingungslose Solidarität zugunsten der USA und Israels propagiert wird, bringt man bezüglich Rußland und China unendlich viel Verständnis für Bombenleger und Geiselnehmer auf.

Die Schriften von Thamm und Hahn sind für den an dieser Weltgegend Interessierten unbedingt zu empfehlen, ermöglichen sie doch einen Blick auf die Hintergründe, die in den deutschen Mainstreammedien meist nicht behandelt werden.


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