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Montag, 4. Juni 2007

Schauprozesse

Seit dem Ansinnen, gem. dem Versailler Vertrag den deutschen Kaiser Wilhelm II. vor Gericht zu stellen (vgl. Art. 227 ff. des Vertrages) und den Prozessen in Nürnberg und Tokio nach dem Zweiten Weltkrieg ist immer wieder Kritik an den Versuchen internationaler Strafjustiz vorgetragen worden. Diese sei vornehmlich ein politisches Instrument, mit dem die Sieger den Besiegten ihr Verständnis von Recht aufzwingen, um die Niederlage komplett zu machen. Den Angeklagten seien in derartigen Schauprozessen nur Statisten, denn in der Öffentlichkeit habe man längst das Urteil über sie gefällt, welches nur noch juristisch abgesegnet werden müsse. Deshalb sei auch ein faires, auf die Unschuldsvermutung gestütztes Verfahren nicht zu erwarten. Bei einer genaueren rechtsgeschichtlichen Untersuchung wird man feststellen, daß viele dieser Vorwürfe in der Tat berechtigt waren (und sind) - vom Verstoß gegen das Rückwirkungsverbot bis zur fehlenden Gleichbehandlung ähnlicher Fälle auf Seiten der Sieger (z.B. Dresden oder Katyn).

Wie stellt sich dies heute, nach der Weiterentwicklung des Völkerstrafrechts seit 1990, dar? Gestern fand in Den Haag der Auftakt des Prozesses gegen den früheren liberianischen Präsidenten Charles Taylor vor dem Sondergericht für Sierra Leone (siehe auch hier) statt. Der Angeklagte hatte allerdings beschlossen, der Verhandlung fern zu bleiben und überdies seinen Anwalt zu entlassen:
"[...]

Former Liberian President Charles Taylor boycotted the opening of judicial proceedings against him Monday at the UN-backed Special Court for Sierra Leone (SCSL), saying in a letter to the court that his confidence in the SCSL's "ability to dispense justice" was "misplaced" because he was prevented from seeing his preferred lawyer and that his single court-appointed defense lawyer was outnumbered by the court's prosecution team. Taylor's assigned lawyer, Karim Khan, told the court that Taylor has fired him and was seeking to represent himself and left the opening of the trial despite requests from the court that he continue as Taylor's defense lawyer, at least for the first day of trial. Despite Taylor and Khan's absence, the court determined that opening statements would continue.

[...]"
(Weitere Berichte in der FAZ und im Spiegel.)

Wir halten Taylors Vorwürfe fest: Es wurde kein Verteidiger nach seiner eigenen Wahl zugelassen, stattdessen gab es einen vom Gericht zugewiesenen Pflichtverteidiger, der auch noch - trotz einiger Mitarbeiter - dem Anklagegremium ressourcenmäßig deutlich unterlegen ist.
Anwalt Khan ging, das Gericht ernannte ad hoc einen neuen Pflichtverteidiger, der seinen Mandanten zuvor nie gesehen hatte, und schon konnte die Show ... pardon ... der Prozeß nach Drehbuch weitergehen. Das macht aber auch nichts, denn an der Schuld Taylors zweifelt ohnehin kaum noch jemand. Wie bereits im Milosevic-Verfahren beschleicht den Beobachter auch jetzt wieder das Gefühl, daß dem Angeklagten nur die Rolle des schweigenden Statisten zugedacht sei, weshalb nach Milosevics Tod sogar die Fortsetzung des Prozesses gefordert wurde. In ihrem Haß gegen den serbischen Politiker bemerkte man nicht einmal, welche Absurdität ein Strafverfahren gegen eine Leiche darstellen würde.

Nun also Taylor. Nicht, daß ich mißverstanden werde: meine Sympathien für ihn halten sich in sehr engen Grenzen. Aber wenn man unbedingt einen Strafprozeß führen will, dann bitte richtig und nicht als Farce. Aufgrund der dem Völkerstrafrecht inhärenten Mängel (von denen oben einige genannt wurden) hat die US-Regierung völlig zu Recht beschlossen, sich dem Internationalen Strafgerichtshof zu verweigern. Anstatt daraus aber die notwendigen Konsequenzen zu ziehen, spielt sie etwa beim Sierra-Leone-Tribunal weiter mit; so ist der Ankläger Taylors, Stephen Rapp, Amerikaner. Was soll man dazu noch sagen? Böse sind anscheinend immer nur die anderen ...

Ein anderes, ebenfalls in Den Haag stattgefundenes Ereignis ließ die Protagonisten des Völkerstrafrechts heute neuen Mut schöpfen. Vor dem Obersten Gericht der Niederlande wurde Klage gegen die Vereinten Nationen und den niederländischen Staat wegen des Massakers von Srebrenica erhoben. Deren Erfolgsaussichten dürften freilich gering sein. Die Niederlande können für das Verhalten ihrer Truppen kaum haftbar gemacht werden, denn das Zurverfügungstellen von Friedenstruppen an die UN erfolgt im Wege der Organleihe. D.h., daß nur die Vereinten Nationen für diese Einheiten verantwortlich sind. Und an der Zulässigkeit einer Klage gegen die UN vor dem Gericht eines Mitgliedsstaates bestehen doch ganz erhebliche Zweifel. Man darf also auch in diesem Fall gespannt sein, ob mehr produziert wird als Presseerklärungen.

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