"[...]PS: Aus britischer Sicht hat sich auch Ian Pryde dazu geäußert.
Kurz vor dem Gipfel Russland - EU in Samara sagten einige offizielle Persönlichkeiten der Europäischen Union, dass die Beziehungen ihren Ausgangspunkt, ja beinahe den Tiefststand seit den Zeiten des Kalten Kriegs erreicht hätten.
Die Ursachen des europäischen Pessimismus sollte man größtenteils unter der Oberfläche von Zeitungsartikeln und effektvollen Erklärungen suchen.
Die Wichtigste davon ist die trotz und selbst dank der Erweiterung zunehmende außenpolitische Schwäche der Europäischen Union. Vor diesem Hintergrund fällt das in den letzten Jahren zu beobachtende Wachstum des Einflusses und internationalen Gewichts von Russland besonders auf. Hinzu kommt, dass Russland heute seine Interessen und Positionen recht fest behauptet. Beim Gipfel sagte der Vorsitzende der EU-Kommission Jose Manuel Durao Barroso: „Das polnische Problem ist ein europäisches Problem, und das litauische und das estnische Problem sind ebenfalls europäische Probleme.“ Früher hielt sich die Führungsspitze der EU da möglichst heraus und stellte diese Probleme als bilateral, russisch-polnisch, russisch-estnisch usw. hin. Wenn in der EU neuerdings tatsächlich die Meinung besteht, dass auch das alte Europa die Allergien und Komplexe der neuen Mitglieder zu teilen habe, so verdient die EU Beileid. Sie wird auf diese Weise den Weg der Unterminierung ihrer internationalen Positionen weitergehen. Unsere europäischen Freunde und Partner mögen so tun, als hätten sie damit nichts zu tun, und die Realität ignorieren. Doch eine einheitliche Außenpolitik, die etwa Malta, Vilnius, Bukarest und Warschau bestimmen können, weil diese Politik auf der Basis eines Konsens gestaltet wird, ist eine Form der politischen Selbstverstümmelung.
In den gut zehn Jahren der Versuche, diese gemeinsame Politik zu betreiben, hat sie natürlich die Empfindung der gesamteuropäischen Solidarität verstärkt, aber in mehreren Richtungen den Einfluss Europas in der Welt beträchtlich verringert. Infolge dieser Politik haben Berlin, Paris oder Madrid heute „dem geringsten gemeinsamen Nenner“ nach weit weniger Einfluss als vor zehn bis 15 Jahren.
Vor einem Monat, beim Gipfel USA - EU, fand das abermals seine Bestätigung. Er verlief äußerlich in einer viel herzlicheren Atmosphäre als der Gipfel an der Wolga. Doch haben die Amerikaner praktisch kein einziges Zugeständnis gemacht. Entweder haben sie vereinbart, nichts zu vereinbaren, oder sie haben der EU ein offensichtlich nicht gleichberechtigtes Abkommen im Bereich der Zivilluftfahrt aufgezwungen (die amerikanischen Gesellschaften haben das Recht bekommen, zwischen den Städten in Europa zu fliegen, während die europäischen Gesellschaften ein solches Recht in den USA nicht bekommen haben). Brüssel stimmte dem Beschluss zu, allen Amerikanern den visafreien Zutritt zu allen 27 EU-Ländern zu gewähren, während die EU das Recht auf eine solche Einreise für die Bürger der neuen Mitgliedsstaaten nicht bekommen hat.
Das Sinken des EU-Einflusses bedeutet auch eine Schwächung der wohltätigen Einwirkung auf andere Länder, darunter auf Russland, und auf die internationalen Beziehungen der neuen humanen zivilisierenden europäischen politischen Kultur. Wer wird ernstlich auf die Europäer hören, wenn ihnen die gemeinsame EU-Politik de facto vom Polen der Brüder Kaczynski aufdiktiert wird, die versuchen, beinahe 20 Jahre nach dem Sturz des Kommunismus ein Berufsverbot einzuführen. Oder wenn sich dieser Politik de facto die politischen Provinzler aus Tallinn bemächtigen, die ihre Komplexe durch die Demontage von Denkmälern zu verdrängen suchen?
Dass auf dem Gipfel und zuvor der Beginn der Verhandlungen über den neuen Vertrag nicht vereinbart wurde, ist keine Tragödie, sondern ein Segen. Denn wenn ein Abkommen, welcher Art auch immer, wie durch ein Wunder zustande gekommen wäre, würden es die „neuen Europäer“ oder ihre Patrone sicherlich torpedieren.
Und das wird so weitergehen, solange sich die Seiten nicht darüber klar werden, was sie sich vom neuen Abkommen wünschen. Brüssel muss erst den Schock überwinden, der dadurch verursacht worden ist, dass Russland es gelernt hat, Nein zu sagen und die Interessen seiner Unternehmen zu schützen, muss die Position von Moskau seinerseits achten lernen. Die alten Europäer müssen sich erst die neuen „aneignen“ und zu der Erkenntnis kommen, dass Europa keine gemeinsame, sondern eine koordinierte Außenpolitik braucht. Eine gemeinsame Politik ist nur für die kleinen Länder, die Neulinge mit ihren Allergien von Nutzen.
Dass unterzeichnete Papiere fehlen, ist kein Mangel, sondern vielmehr eine Errungenschaft des Gipfels. Solche Papiere hätten nur zu Bedingungen unterzeichnet werden können, die man in Brüssel im Voraus kannte und auch laut verkündete. Soweit bekannt, gab es Versuche, auch im Verlauf des Gipfeltreffens Ultimaten zu stellen. Nunmehr werden die Seiten einander mit mehr Achtung gegenübertreten. Der Dialog, die Lösung konkreter Fragen von gegenseitigem Interesse - und davon wurden auf dem Gipfel übrigens nicht wenig gelöst - müssen fortgesetzt werden. Es ist jedoch eine Pause nötig, damit sich alle des neuen Kräfteverhältnisses bewusst werden.
Moskau und die europäischen Hauptstädte müssen klar verstehen, dass es Interessen gibt, die vereinigen. Vielleicht lohnt es sich sogar, auf den politkorrekten, aber inhaltsleeren Terminus „strategische Partnerschaft“ zu verzichten.
Das Wichtigste dieser Interessen sind eine schon in mittelfristiger Perspektive leicht vorauszusehende weitere Schwächung der Weltpositionen der EU und die fünf bis sechs Jahre danach eintretende Schwächung der Positionen Russlands, wenn sich beide Parteien nicht darauf einigen, statt der „strategischen Partnerschaft“ ein strategisches Bündnis aufzubauen.
Als Grundlage könnte es auf der Basis des energetischen Bündnisses beruhen: durch den Austausch von Aktiva. Wie auch vorgeschlagen wurde, wird Russland einen Anteil an der Gewinnung und Europa einen an der Energieverteilung gewähren.
Vorläufig sind die Seiten für ein solches Bündnis nicht reif. Es muss daran gearbeitet werden, damit die „Tragödie des Scheiterns“, von der die Massenmedien schreien, ein Stimulus zu einer neuen Qualität der Beziehungen zwischen beiden Teilen des alten Kontinentes und die Grundlage für einen neuen Optimismus wird.
[...]"
Seiten
▼
Sonntag, 3. Juni 2007
Die künftigen Beziehungen zwischen der EU und Rußland
Sergej Karaganow sieht für diese, auch nach dem Gipfel in Samara, die Notwendigkeit, sich von einer weitgehend inhaltsleeren strategischen Partnerschaft hin zu einem strategischen Bündnis zu entwicklen:
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen