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Dienstag, 1. Mai 2007

Wie wird die russische Position begründet?

Anstatt nun die jüngsten Einlassungen Putins zum AKSE-Vertrag wohlfeil als "Wahlkampfgetöse" oder "Säbelrasseln" abzutun und sich über den 'polternden russischen Bären' zu amüsieren (oder, wahlweise, zu ärgern), sollen nachfolgend die offiziell wie inoffiziell angeführten Gründe dafür benannt und kurz analysiert werden. Es sind dies:

a) Die scheinbar unaufhaltsame Erweiterung der NATO (und damit das Vorrücken des amerikanischen Militärs) nach Osten, entgegen den 1990 gegenüber der damaligen UdSSR gemachten Zusagen und obwohl sich der Warschauer Pakt aufgelöst hat;

b) Das Nichtratifizieren des AKSE-Vertrages durch sämtliche Mitgliedsstaaten der NATO (bzw. deren Nichtbeitritt), während von Rußland die strikte Beobachtung dieses Vertrages verlangt wird;

c) Das bewußte Nichtrespektieren wichtiger völkerrechtlicher Bestimmungen durch die NATO-Mitglieder im Kosovokrieg 1999;

d) Der 2002 erfolgte Rücktritt der USA vom ABM-Vertrag und der Aufbau eines auch in Osteuropa dislozierten amerikanischen Raketenabwehrsystems.

Ad a) Im Jahre 1990 wurde der damaligen Sowjetunion sowohl durch den US-Präsidenten Bush sen. als auch den NATO-Generalsekretär Wörner zugesichert, daß sich die NATO nicht weiter nach Osten ausdehnen werde. Daß es sich dabei nicht nur um ein "angebliches Versprechen" gehandelt hat (wie die Zeit fälschlicherweise annimmt), geht aus Art. 5 des sog. Zwei-plus-vier-Vertrages, der den Weg zur deutschen Einheit geebnet hat, hervor und wird auch von der amerikanischen Regierung eingeräumt:

"[...]

Putin hatte auf der Münchner Sicherheitskonferenz im Februar mit Blick auf den Zwei-plus-Vier-Vertrag erklärt, der Westen habe die Versprechen gebrochen, die er Russland nach der deutschen Wiedervereinigung gegeben habe.
Dieser Ansicht widersprach der Chef der Eurasien-Abteilung des US-Außenministeriums, Dan Fried, in der "Zeit". Die US-Regierung sieht demnach in der Errichtung des Abwehrsystems in Tschechien und Polen keine Verletzung des Vertrages, mit dem die Wiedervereinigung Deutschlands besiegelt wurde. Der Einigungsvertrag enthalte keine Verpflichtung, östlich der ehemaligen DDR keine Truppen der Nato zu stationieren, sagte Fried.
"Die Nato hat aber 1997 einseitig erklärt: keine substanziellen und permanenten Kampftruppen unter heutigen Bedingungen. Eine Brigade wäre wohl okay, eine Division nicht. Zehn Raketen ohne Sprengkopf und ein paar hundert Beschützer bleiben unterhalb der Schwelle", sagte Fried mit Blick auf die geplante Raketenbasis in Polen.

[...]"
Damit wird deutlich, daß es nicht nur um eine vage politische Äußerung geht, sondern daß selbige auch in die feste Form eines völkerrechtlichen Vertrages gegossen worden ist (der allerdings einen eng begrenzten Anwendungsbereich hatte).

Die bisherigen Osterweiterungen der NATO, die vor allem von Deutschland - anfangs auch gegen die USA - vorangetrieben worden sind, wurden amtlich damit begründet, daß sie nicht gegen Rußland gerichtet seien, sondern der Sicherheit aller Staaten Europas dienen sollten. Die Aufnahme Polens, Tschechiens und Ungarns ließ sich noch leichter verkaufen als der spätere Beitritt etwa der baltischen Staaten. Seit aber nunmehr offen über eine Aufnahme selbst der Ukraine und Georgiens diskutiert wird, fühlt sich die russische Regierung betrogen und sieht die NATO-Erweiterungen als explizit gegen Rußland gerichtet an. Eine Anschauung, die bei verständiger Würdigung durchaus etwas für sich hat. Dies umso mehr, als das Versprechen eines Mehr an gemeinsamer Sicherheit bisher nicht eingelöst wurde, sondern im Gegenteil einige osteuropäische Staaten jetzt glauben, es jetzt den Russen endlich 'heimzahlen' zu können.


Ad b) Dazu habe ich vorgestern schon einiges ausgeführt. Hier ist wiederum bemerkenswert, wie bezüglich Rußlands mit Doppelstandards operiert wird. Während die NATO-Staaten ihre eigene politische Zusage, auf eine Osterweiterung des Bündnisses zu verzichten, längst ad acta gelegt haben, beharren sie darauf, daß Rußland eine rechtlich ebenso unverbindliche Zusage bezüglich des Truppenabzugs aus Moldawien und Georgien einhält, bevor sie den AKSE-Vertrag ebenfalls ratifizieren. Dabei wird geflissentlich ignoriert, daß sich die russischen Verbände dort z.T. auch mit ausdrücklicher Billigung des UN-Sicherheitsrates aufhalten.
Überdies ist nicht einsichtig, weshalb die NATO den AKSE-Vertrag einerseits als einen 'Eckpfeiler der Sicherheit in Europa' verteidigt, ihre Mitglieder ihn aber anderseits nicht ratifiziert haben. Die Ankündigungen Putins haben ferner deutlich gemacht, daß die Zeit der 'ungleichen Verträge' in den Beziehungen mit Rußland endgültig vorbei ist.


Ad c) Der Kosovokrieg wurde 1999 seitens der beteiligten NATO-Staaten unzweifelhaft illegal geführt, da ihr Vorgehen gegen das völkerrechtliche Gewaltverbot (Art. 2 Nr. 4 UN-Charta) - eine der fundamentalsten Normen des modernen Völkerrechts - verstieß, weil keine entsprechende Ermächtigung des Sicherheitsrates (Art. 24, 39 ff. UN-Charta) vorlag. (Im Vergleich dazu war der Golfkrieg 2003 weit weniger einschneidend - auch wenn die deutsche Friedensbewegung dies anders sehen mag -, denn da ging es nur um die Interpretation einer schon geltenden Resolution des Sicherheitsrates.) In den damals beteiligten Staaten war man sich der damit verbundenen Probleme durchaus bewußt, wie die zahlreichen Versuche zur Begründung einer "humanitären Intervention" belegen.

Der Kosovokrieg hat viele in der russischen Elite zu der Erkenntnis geführt, daß man den NATO-Staaten, insbesondere den USA, nur sehr bedingt vertrauen kann und daß diese sich weder durch politische Übereinkünfte oder Rücksichten noch durch geltendes Völkerrecht in ihrem Handeln beschränken lassen. Mithin kann auch Rußland nicht mehr allein darauf vertrauen, mögliche Bedrohungen seiner Sicherheit und Interessen durch diplomatische Aktivitäten, insbesondere die ständige Präsenz im UN-Sicherheitsrat, abzuwenden. Ex post wird man somit das Jahr 1999 als den Zeitpunkt ansetzen müssen, an dem Rußland aus Selbsterhaltungsgründen zur Machtpolitik zurückgekehrt ist und seit dem die Idee, Vorteile aus der einseitigen Anbiederung an die USA zu ziehen, deutlich an Popularität verloren hat. Auch die engere Kooperation beider in den ersten Jahren von Putins Präsidentschaft vermochte daran nichts zu ändern.


Ad d) Der aktuelle Streit um den Aufbau eines amerikanischen Raketenabwehrsystems hat eine - hierzulande meist wenig beachtete - Vorgeschichte. Im Jahre 2002 sind die USA einseitig vom 1972 abgeschlossenen ABM-Vertrag zurückgetreten. Damit hat Washington zuerst die Hand an jene Rüstungskontrollvereinbarungen gelegt, die während der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts abgeschlossen worden waren. Dies steht in engem Zusammenhang mit Punkt b), denn für Rußland erhebt sich die Frage, wie ernst es die USA mit dem ganzen Komplex Abrüstung und Nichtweiterverbreitung überhaupt meinen.
Wenn man weiter die oben unter a) behandelte Wortbrüchigkeit des "Westens" in Rechnung stellt, sind die russischen Bedenken gegen den Aufbau von Raketenabwehrbasen in Osteuropa auch nachvollziehbar. Natürlich weiß man in Moskau, wenn man ehrlich ist, daß das derzeit angedachte Dispositiv die strategischen Waffen Rußlands nicht ernsthaft gefährden kann. Aber was könnte in Zukunft daraus noch werden?
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Karte: germanhistorydocs.ghi-dc.org.

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