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Mittwoch, 18. April 2007

Georgisch-amerikanische Fehldeutung

Georgien mit seinen Krisenregionen (Karte: www.dw-world.de); eine detaillierte kartographische Darstellung der Lage in Abchasien ist auf der UN-Seite zu finden.


Die Situation im Südkaukasus, insbesondere in den nach Unabhängigkeit von Georgien strebenden Republiken Abchasien und Südossetien, ist im Herbst 2006 infolge des russisch-georgischen Konflikts erneut ins Blickfeld der Weltöffentlichkeit gerückt. Die damit verbundenen Probleme werden uns - auch in diesem Blog - in den nächsten Wochen und Monaten sicher noch des öfteren beschäftigen.

Das gleiche gilt für die Frage nach dem Einfluß bestimmter, im allgemeinen als "pro-westlich" geltender politischer Kräfte in einigen Staaten der früheren Sowjetunion auf die innenpolitische Stimmung und die Außenpolitik der USA. Insbesondere der georgische Präsident Saakaschwili genießt dort großen Kredit, vor allem weil er aktiv den NATO-Beitritt seines Landes vorbereitet und als "Demokrat" und "Reformer" gilt. Er versteht es nahezu perfekt, sich als das bedauernswerte Opfer des bösen, großen russischen Bären darzustellen, der den armen, kleinen Nachbarn unablässig tyrannisiert. Darüber vergißt man im "Westen" bisweilen, daß Saakaschwilis Demokratiebilanz de facto alles andere als gut aussieht und auch seine Politik gegenüber den "abtrünnigen" Republiken nicht allzu friedlich war (wozu Georgien freilich aufgrund der Waffenstillstandsabkommen verpflichtet ist).

Vielleicht ist es auf dise Wahrnehmung zurückzuführen, daß in einer vom Bostoner Institute for the Study of Conflict, Ideology, and Policy herausgegebenen Rezension die Sichtweise Saakaschwilis (und anderer "Reformer" und "Demokraten" seines Schlages in der früheren UdSSR) vollständig übernommen wird. Daraus ein besonders drastisches Beispiel:

"[...]

Moreover, Russian “peace-keepers” that were inserted unilaterally between Georgia and its breakaway province of Abkhazia continue with their real task, namely to prevent the return of 250,000 ethnic Georgian refugees who were expelled by 90,000 Abkhaz mountaineers.

[...]"


Mit dieser Darstellung macht man sich nicht nur das Ziel der derzeitigen georgischen Staatsführung, einen Abzug der russischen Friedenstruppen zu erzwingen, zu eigen, sondern man lügt auch noch, um es besser erreichen zu können.

Bei einer genaueren Untersuchung des Falles stellt man fest, daß diese Friedenstruppen keine unilaterale Angelegenheit Rußlands sind, sondern eine Operation der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (zu der u.a. Rußland und Georgien gehören). Die GUS-Charta weist der Organisation in Art. 2 u.a. die Aufgabe der Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedsstaaten zur Sicherung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit zu. Zu diesem Zweck ermöglichen die Charta (v.a. Kapitel III) und weitere Rechtsakte der GUS den Einsatz von Friedenstruppen in einer Konfliktregion. Damit ist die Gemeinschaft Unabhängiger Staaten eine Regionale Abmachung im Sinne des Kapitels VIII der UN-Charta und wird als solche auch vom UN-Sicherheitsrat anerkannt.
Die Entsendung der Friedenstruppen nach Abchasien zur Überwachung der Waffenruhe erfolgte durch Rußland im Juni 1994 ad hoc auf ein Ersuchen (!) der georgischen und der abchasischen Seite hin und wurde dann im Rahmen der GUS auf eine multilaterale Grundlage gestellt, es handelt sich also um de jure GUS-Truppen. Der UN-Sicherheitsrat, dem gem. Art. 24 I UN-Charta die "Hauptverantwortung für die Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit" obliegt, und der gem. Art. 52 ff. UN-Charta auch die Aktivitäten der Regionalen Abmachungen überwacht, hat diesem Arrangement erstmals im Juli 1994 in der Resolution 937 zugestimmt und an dieser Auffassung bis heute kontinuierlich festgehalten, zuletzt dokumentiert in den Resolutionen 1716 (Oktober 2006) und 1752 (April 2007).
(Eine ausführliche Darstellung des Themas bietet A. Nasyrova: Regionale Friedenssicherung im Rahmen der GUS, in: ZaöRV 2004, S. 1077 ff. - auch online abrufbar.)

Es ist also falsch zu behaupten, die Präsenz der russischen Friedenstruppen in Abchasien sei illegal oder ihre Stationierung sei gegen den Willen der georgischen Regierung erfolgt.

Warum wird es dennoch getan? Politikberatung ist nur höchst selten zweckfrei und eine derartige Fehldeutung muß Gründe haben, die wohl nicht nur in der überall im Text deutlich hervortretenden Russophobie des Rezensenten liegen. Soll in der amerikanischen Öffentlichkeit und bei Abgeordneten der Boden für Saakaschwilis weitere Politik bereitet werden, der ausweislich zahlreicher Stellungnahmen auch bereit ist, ggf. Krieg gegen Rußland zu führen und dafür (vielleicht schon als neues NATO-Mitglied?) amerikanischer Unterstützung bedarf?

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