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Dienstag, 17. April 2007

Demonstrationsrecht

Im Nachgang zu den Demonstrationen am Wochenende sollen jetzt einige der in der Presse gegen die russischen Behörden erhobenen Vorwürfe mit den Verhältnissen in Deutschland verglichen werden, wobei sowohl die Rechtsgrundlagen als auch die Praxis von Politik, Verwaltung und Justiz berücksichtigt wird.

In der Zeit heißt es:
"[...]

Russland erlebt in den vergangenen Monaten eine schleichende Aushöhlung des Demonstrationsrechts von oben. [...] In Moskau sollen künftig Aufmärsche in der Nähe historischer Denkmäler und mit mehr als zwei Personen pro Quadratmeter verboten werden. [...] Sie verbietet Versammlungen, da angeblich zuvor bereits der Demonstrationsantrag einer Putin-treuen Jungschar am selben Ort eingegangen sei, [...]"

So ungewöhnlich ist das nicht. Auch hierzulande sollten vor zwei Jahren Demonstrationen an historisch bedeutsamen Orten (wie dem Brandenburger Tor in Berlin) leichter verboten werden. Hintergrund waren natürlich die zahlreichen Demonstrationen der NPD. Die diversen Vorschläge dazu sind nun in etwas entschärfter Form in § 15 II des Versammlungsgesetzes gegossen worden:
"Eine Versammlung oder ein Aufzug kann insbesondere verboten oder von bestimmten Auflagen abhängig gemacht werden, wenn
1. die Versammlung oder der Aufzug an einem Ort stattfindet, der als Gedenkstätte von historisch herausragender, überregionaler Bedeutung an die Opfer der menschenunwürdigen Behandlung unter der nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft erinnert, und
2. nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung konkret feststellbaren Umständen zu besorgen ist, dass durch die Versammlung oder den Aufzug die Würde der Opfer beeinträchtigt wird.
Das Denkmal für die ermordeten Juden Europas in Berlin ist ein Ort nach Satz 1 Nr. 1. Seine Abgrenzung ergibt sich aus der Anlage zu diesem Gesetz. Andere Orte nach Satz 1 Nr. 1 und deren Abgrenzung werden durch Landesgesetz bestimmt."

Mit der zeitgleichen, in der veröffentlichten Meinung ebenfalls meist positiv kommentierten Neufassung des § 130 StGB sollten auch bestimmte öffentliche Meinungskundgaben (s. Art. 5 GG) unterbunden werden, die nichts mehr mit dem Spezialfall der Auschwitzlüge zu tun haben. Aufgrund der beiden Gesetzesänderungen wird man schwerlich der Einschätzung widersprechen können, daß sich in Deutschland mittlerweile ein Gesinnungsrecht etabliert hat.

Auch der Vorwurf, der Obrigkeit genehmere Gruppen würden bei ihren Demonstrationen bevorzugt, verfängt nicht, denn das gleiche Schauspiel wird auch bei uns mehrfach pro Jahr geboten. Der Ablauf ist regelmäßig folgender: Die NPD oder eine ähnliche Gruppe meldet eine Demonstration an, die von der zuständigen Behörde aus den verschiedensten Gründen verboten wird (§ 15 I VersG). Daraufhin klagt die NPD vor den Verwaltungsgerichten und bekommt, wie schon von Beginn an abzusehen war, früher oder später Recht, so daß die Demonstration - evtl. mit Auflagen versehen - doch noch stattfinden darf. Daraufhin setzen sich die Lokalpolitiker an die Spitze der Gegendemonstranten und bilden ein "Bündnis gegen Rechts". Sobald man an einem Ort eine gewisse Übung darin hat, werden die Gegendemonstrationen zeitlich knapp vor der NPD-Demo angemeldet, so daß man den Rechten mit gutem Gewissen sagen kann: 'Sorry, aber auf diesem Platz im Zentrum wird zeitgleich schon demonstriert, ihr müßt also an den Stadtrand gehen'.

Die Auflösung eines verbotenen Aufzugs - wie am Samstag auf dem Moskauer Puschkinplatz geschehen - ist gleichfalls keine so außergewöhnliche 'Vergewaltigung der Demokratie', denn in § 15 IV VersG heißt es kurz und knapp: "Eine verbotene Veranstaltung ist aufzulösen".

Exkurs: Ein Streit, der auch über die juristische Fachwelt hinaus Aufmerksamkeit erregte, wurde vor sechs Jahren zwischen dem Oberverwaltungsgericht Münster und dem Bundesverfassungsgericht ausgetragen. Während das OVG regelmäßig NPD-Demonstrationen untersagte, indem es eine Art antifaschistische Metaverfassung in das Grundgesetz hineindeutete, wurden seine Entscheidungen vom BVerfG regelmäßig kassiert und so die Demonstrationsfreiheit (Art. 8 GG) geschützt. (Die Entscheidungstexte beider Gerichte lassen sich über ihre Webseiten abrufen; ausführliche Abhandlungen dazu: U. Battis / K. J. Grigoleit: Die Entwicklung des versammlungsrechtlichen Eilrechtsschutzes, in: NJW 2001, S. 2051 ff.; S. Beljin: Neonazistische Demonstrationen in der aktuellen Rechtsprechung, in: DVBl. 2002, S. 15 ff.; W. Hoffmann-Riem: Demonstrationsfreiheit auch für Rechtsextremisten?, in: NJW 2004, S. 2777 ff.)

Wir halten als Ergebnis dieser kurzen Betrachtung fest: Die Behandlung von politisch mißliebigen Demonstranten in Deutschland und Rußland unterscheidet sich nicht unbedingt grundsätzlich, weder auf der rechtlichen noch der auf der tatsächlichen Ebene. Wobei hierzulande eine gut funktionierende Verfassungsgerichtsbarkeit noch dazu fähig war, die restriktivsten Freiheitsbeschränkungen abzumildern. Daher kann ich mich des Eindrucks nicht erwehren, als läge die Ursache für die in unseren Medien vergossenen Krokodilstränen über die Ereignisse des vergangenen Wochenendes weniger in der besonderen Liebe zum Grundrecht der Versammlungsfreiheit und stattdessen eher darin begründet, wer denn nicht so demonstrieren durfte, wie er es gern gewollt hätte.
(Wenn man im Glashaus sitzt, meine Damen und Herren Journalisten, sollte man nicht mit Steinen werfen. Wer vor Jahren den "Aufstand der Anständigen" mitsamt seinen totalitären Anwandlungen unterstützt hat, täte besser daran, jetzt zu schweigen.)

Es bieten sich also zwei Schlußfolgerungen an: Deutschland und Rußland sind bezüglich mißliebiger Demonstrationen (und öffentlicher Meinungskundgaben) beide ähnlich demokratisch (also gewissermaßen "lupenrein" ;-)) oder beide sind ein ganzes Stück weit vom Idealbild einer Demokratie entfernt. (Vielleicht kann dieses Idealbild aber in der Wirklichkeit aufgrund der vielfältigsten Friktionen auch niemals erreicht werden?)

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