Ähnlich der bereits erwähnten Arbeit von Koenen beschäftigt sich Stephen Cohen in seinem Buch "Failed Crusade" (New York/London 2000) nicht nur mit der russischen Politik während der 90er Jahre, sondern auch (und viel stärker) mit den Einstellungen von amerikanischen Politikern, Journalisten Ökonomen und anderen Wissenschaftlern gegenüber Rußland. Er kommt dabei zu dem für mich mittlerweile nicht mehr überraschenden Ergebnis, daß dabei Vorurteile und selbstgebastelte Traumwelten wichtiger waren als die komplizierte Wirklichkeit in der früheren Sowjetunion - treffend zusammengefaßt in den kurzen Satz "Russian Studies without Russia".
Seine - hinlänglich belegte - Hauptthese: Nach 1991 haben amerikanische Politiker und (Wirtschafts-)Berater in einer kreuzzugsähnlichen Kampagne versucht, ihre eigenen Konzepte von 'Demokratie' und 'Marktwirtschaft' nach Rußland zu verpflanzen - und sind damit spätestens 1998 gescheitert. Was folgte, war ein großer Katzenjammer. Zum zweiten Mal seit 1917 hatte in Rußland eine aus dem Ausland importierte Ideologie, die ohne Rücksicht auf Verluste vorgegangen war, versagt.
Fast schon prophetisch muten diese 1992 von ihm verfaßten Sätze an (S. 103):
"But what will be the reaction of our own opinion shapers and policymakers when Russian realities explode the prevailing myths about America's post-Communist friend and partner, as they soon will? If missionary dogmas persist, the American backlash is easy to foresee - at best, cynism and indifference to Russia's plight; at worst, a sense of betrayal and a revival of reflexive Cold War attitudes."
War man damals - nicht nur in den USA! - hyperoptimistisch, so scheint man mir heute überpessimistisch bezüglich der russischen Politik zu sein. Ein Beispiel: Jelzins Amtsführung hatte viel stärker autokratische Züge als oftmals angenommen, etwa indem vom Parlament nicht angenommene Gesetzesvorlagen in die Form eines Präsidentendekretes gekleidet wurden, während sich unter dem 'autoritären' Putin die Arbeit der Staatsduma verstetigt und konsolidiert hat. Nur für solche detaillierten Betrachtungen bleibt den neuen Kalten Kriegern keine Zeit. :(
Doch zurück zum Thema. Alles in allem ist Cohens Buch - trotz seines Alters - überaus lesenswert und man lernt viel über die Jelzin-Ära aus Sicht eines Amerikaners, muß aber gleichzeitig mit der (nachvollziehbaren) Fixierung auf das Verhältnis Rußland-USA und dem etwas insistierenden Stil in den ersten Kapiteln leben.
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